Face detected! Die versteckten Gesichter der Musik
Die Maske: Schutz oder Schein? Warum trugen Musikerinnen Masken, bevor es zur Pflicht wurde? War es eine Identitätsfrage oder ein Mysterium? Verzierung oder Verzerrung? Eine nostalgische Retrospektion wirft mehr Fragen auf, als sie jemals beantworten könnte. Wer waren die Ersten? Und was genau halten sie geheim unter der faszinierenden Falschheit der Maske?
Luzern musste dieses Jahr ohne Fasnacht über die Runden kommen. Obwohl die jeweils lauteste Woche des Jahres nicht stattfinden konnte, lässt sich feststellen, dass Masken dafür im Alltag sehr präsent geworden sind – sogar mehr als zuvor. Der Grund ist klar: Die Maske wurde angesichts der Coronakrise entschönigt und normalisiert. Die Regierung appelliert an den gesunden Menschenverstand und bittet die Bevölkerung darum, eine Maske zu tragen. Und ein Blick in die Vergangenheit zeigt auf, dass es schon vor der Pandemie eine kulturelle Faszination für Gesichtsverhüllung gab.
Vor einigen Wochen hat sich die EDM-Gruppe «Daft Punk» endgültig von der Musikszene verabschiedet. Unter anderem waren sie Jahrzente lang dafür bekannt, dass sie ihr Gesicht stets immer unter schimmernden Helmen zu verstecken strebten. Für das französische Duo sollte die Musik und nicht die Persönlichkeiten der Künstler im Vordergrund stehen. Interviews wurden ausschliesslich mit bedeckten Köpfen geführt. Nebst der kürzlich aufgelösten Musikgruppe lassen sich andere Künstlerinnen identifizieren, die eine ähnliche Haltung gegenüber Gesichtsverhüllung vertreten.
Die US-amerikanische Sängerin Sia beispielsweise versucht mit ihrem Bowl Cut, der das halbe Gesicht verdeckt, die Aufmerksamkeit von ihrem Gesicht wegzulenken. Dasselbe gilt für grössere EDM-Namen wie Deadmau5, Marshmello, SBTRKT und Claptone: Die Musik steht im Mittelpunkt, nicht die Person hinter der Maske.
Die deutschsprachige Musikszene musste wohl mit Sido die erste Erfahrung eines maskentragenden Künstlers machen. Es stellt sich die Frage, ob die goldene Schädelmaske damals einen tatsächlichen Einfluss auf seinen Erfolg hatte. Nach Sido wurde das Maskentragen in der deutschen Rapszene immer präsenter: Namen wie Marsimoto, Cro und Genetikk durften im Schatten der Goldmaske aufblühen und die neue Generation von Deutschrap definieren.
The first to hide: Das Geheimnis der Gesichter
Die Suche nach den ersten maskierten Musikerinnen stellt eine grosse Herausforderung dar: Sicherlich wurde den Pionieren der musikalisch motivierten Gesichtsverhüllung kein Erfolg garantiert, doch trotzdem ist der Trend bis heute noch präsenter worden. Dazu ist der Prozess der Maskierung eher graduell entstanden: Bands wie Alice Cooper und Kiss normalisierten Facepainting als Teil der Show. Im Vergleich zur Maske erlaubt Facepainting keine komplette Gesichtsverhüllung, ermöglicht jedoch das Verzieren und Verstellen des Gesichts. In der nordischen Metalszene wurde die Schminke durch die Verbreitung von Corpsepainting etwas grotesker, also die etwas unheimlichere Variante, die vom dänischen King Diamond und seiner Band Mercyful Fate ins Rampenlicht gerückt wurde.
Ausserhalb der Metalszene ist Facepainting eher seltener anzutreffen. Nur das Rap-Duo Insane Clown Posse konnte die schwarz-weiss Gesichtsmalerei exportieren und darauf einen grossen Erfolg feiern. Die selbsternannten «Juggalos» treffen sich jährlich beim «Gathering of the Juggalos», einem grossen Festival, wo alle ihre Facepainting-Skills zu demonstrieren streben. Seit einigen Jahren gelten die «Juggalos» als eine von der FBI anerkannte Gang, eine ihrerseits unberechtigte Entscheidung. Letztes Jahr entdeckte der User @tahkion auf Twitter, dass die Gesichtsmalerei der Insane-Clown-Posse perfekt dafür geeignet sei, Gesichtserkennungssoftware zu unterminieren, da die Muster die Kinnlinie verzerre. Das Internet durfte lachen: Will es in einer Massenüberwachungsgesellschaft oder doch lieber mit dem «Juggalo»-Lifestyle leben?
Doch was treibt Rapper an, das eigene Gesicht zu verhüllen? Sind es legale Schutzmassnahmen oder doch nur Ausdrucksmittel? In der Metal-Szene scheint die Maske Teil der Show zu sein. Die gruseligen Masken von Slipknot, Gwar und Mushroomhead verleihen den jeweiligen Musikgruppen eine geheimnisvolle Aura. Man darf sich fragen, ob Lordi den Eurovision Contest in 2006 schon allein wegen deren schaurigen Kostüme gewonnen haben. Mit den hinter einer Maske verborgenen Körpern stellt sich für die Zuschauerinnen automatisch die Frage, was sich darunter verbirgt. Die Frage ist wichtiger als die Antwort. Wer sich in den Slasher-Filmen der 80er auskennt, der weiss, dass die einschüchternden Bösewichte des Horrorgenres diejenigen sind, die das Gesicht verbergen. So etwa Jason Voorhees von Friday the 13th, Michael Myers von Halloween oder Leatherface aus The Texas Chainsaw Massacre, der eine Gesichtsmaske trägt, die aus der Haut seiner Opfer besteht.
Auf der Suche nach den ersten maskierten Musikerinnen stolpert man relativ rasch über Namen wie Buckethead, den legendären Gitarrensolist, dessen Identität lange unbekannt war. Oder The Residents, die tatsächlich als die erste Band gilt, die das Gesicht verdeckte. Bereits in den 70ern trat die Band mit ihren Augapfelmasken auf. Ursprünglich war das Kostüm lediglich für ein Fotoshooting gedacht, doch es wurde von der Band auch für Live-Auftritte aufgegriffen, weil dies der Band einen zusätzlichen Hauch von Originalität verlieh. Auf der anderen Seite entschied sich die Gruppe Pussy Riot aus Sicherheitsgründen das Gesicht zu verstecken, als sie 2013 das provokativste Kunstprojekt im postsowjetischen Moskau darstellte. Selbst die Namen der Bandmitglieder wurden für Interviews durch Spitznamen ersetzt. Können Masken somit auch eine explizit gewählte Schutzmassnahme sein?
Wear a mask all day: Der erste Rapper
Der Austritt von Daft Punk aus der Musikszene hat grosse Wellen erzeugt. Im Anschluss dieses Artikels möge man jedoch der wahren maskierten Legende etwas Aufmerksamkeit schenken: MF DOOM. Der britisch-amerikanische Daniel Dumile gilt bis heute als der wahre Vorreiter der maskierten Rapszene. Ein Blick in die Vergangenheit verrät uns einiges über die Absichten des ersten maskierten Rappers.
Als ein Autounfall das Leben seines Bruders beendet, wird Dumiles Gruppe vom Label vernachlässigt. In den späten 90ern taucht er erneut auf, diesmal aber hinter einer selbst angefertigten Maske, inspiriert vom Comic-Bösewicht Dr. Doom. Dumile tauft sich um in MF DOOM (all caps) und schwört, sich gegen die Musikindustrie, die ihn vernachlässigt hat, zu rächen.
Seine Karriere bleibt bis heute eine der experimentellsten in der Geschichte des Hip Hops. Unter anderem war MF DOOM dafür bekannt, dass er an seinen Konzerten nur selten anwesend war. Mehrere Male wurde er dabei erwischt, maskierte Drittpersonen auf die Bühne zu schicken. Einmal durfte gar ein Mensch der in Obdachlosigkeit lebt die Bühne betreten, das Publikum wurde sich dem Playback jedoch relativ rasch bewusst. Wer den grossen Schurken des Hip-Hops live erleben wollte, musste wohl damit rechnen. Daniel Dumile starb am 31. Oktober 2020. Obschon Gruppen wie The Residents oder Gitarristen wie Buckethead schon vor MF DOOM das Gesicht verhüllten, lässt sich mit relativer Bequemlichkeit behaupten, dass kein Künstler das Leben der Maske in seiner Karriere so sehr reflektiert hat wie der mit mehreren Persönlichkeiten geprägte MF DOOM.
Sein Einfluss wird schon darin ersichtlich, dass viele Rapper der neuen Generation auf seine alten Beats rappen, so etwa Joey Badass, Tyler the Creator und Earl Sweatshirt. Sein lyrischer «stream of consciousness»-Stil wird immer bemerkbarer in der neuen Underground-Szene. Ob wir irgendwann wieder eine neue, aufstrebende und maskierte Persönlichkeit in der Musikszene erleben werden dürfte wahrscheinlich sein. Doch momentan gilt die Pflicht eines Tragens einer solchen für uns alle. Mögen wir uns doch nach besseren Zeiten sehnen, sodass wir unser Gesicht nicht verlieren.
Text: Francisco Cortes
Bild: Pexels / Harry